Mittwoch, 18. Juli 2007
Früher (also viel früher)
Wenn ich an meine Kindheit denke, sind alle Erinnerungen in ein freundliches, sonnengelbes Licht getaucht. Wie in der Werbung für Orangensaft oder Frühstücksflocken. Ja, ich hatte eine super Zeit. Meistens jedenfalls. Sagen wir mal, bis zur Pubertät. Alles war irgendwie unkomplizierter. Und ich meine das jetzt nicht nur, weil ich nun statt Hausaufgaben meine Steuererklärung machen muss. Nehmen wir zum Beispiel das Jahr 1983: Ich war acht Jahre alt und ging in die dritte Klasse. Morgens weckte mich meine Mutter und machte mir ein Brot, legte mir meine Anziehsachen heraus und schickte mich mit einem weiteren Brot und einem Trinkpäckchen in die Schule.



In der Schule roch es immer nach einer Mischung aus Sporthalle, Töpferwerkstatt, Wasserfarbe und Backstube. Ausserdem lag über all dem der Duft von Matritzen, mit denen man seinerzeit noch Arbeitsblätter "kopiert" hat. Man legte ein Blatt auf di Matritze (Pauspapier) und ein anderes darunter. Wenn man dann etwas schrieb, wurde es einfach durchgepaust. Nix mit Kopiergerät und so. Wenn also neue Arbeitsblätter ausgeteilt wurden, haben wir immer als erstes daran geschnüffelt, weil sie irgendwie nach Kleber gerochen haben. Berauscht wurden wir nicht davon, aber die Nase wurde manchmal blau – von der Farbe. In der Pause spielten die Jungs fangen und die Mädchen Hüpfekästchen (manche sagen auch "Hickelhäuschen" dazu) oder Gummitwist. Gameboys oder Handys gab es noch nicht. Statt SMSen schrieben wir unsere "Nachrichten" auf kleine Zettel. Was ja sozugagen auch ein Short-Message-Service - also ein Kurznachrichtendienst – gewesen ist. Nur nicht elektronisch, sondern noch liebevoll per Hand entworfen: "Komst Du heute Nachmittag zu mier?" "Ja. Wahnn?" "Um 15 Ur." "Okäy." So oder so ähnlich lauteten die wichtigen Nachrichten. 15 Uhr war eigentlich eh immer klar, weil man vorher essen musste und man dann mindestens eine Stunde Hausaufgaben machte. Im Fernsehen gab's sowieso noch nichts für Kinder. Das Kinderprogramm fing erst gegen halb vier an und ging dann auch nur bis um fünf.

Da gab es dann so herrliche Sendungen wie "Spass am Dienstag" (mit Thomas und Zini), "Die Rappelkiste", "Das feuerrote Spielmobil", "Neues aus Uhlenbusch" oder "Kimba – der weisse Löwe". Ausserdem gab es noch Sport- und Unterhaltungssendungen wie "Pfiff", das "ZDF-Ferienprogramm" (da hab' ich tatsächlich Anke Engelke das erste Mal gesehen!) oder "Alpha 5", eine Rateshow für Schulklassen., bei der ein Robter immer "tok, tok, tok, oijoijoi" gemacht hat. Und zwar nicht nur nach minutenlangem Matritzen-Schnüffeln. Der hat wirklich "tok, tok, tok, oijoijoi" gemacht! Damit kann man die Manga-Animes (früher nannten wir sowas – Achtung, Historie!- "Zeichentrickfilm") gar nicht vergleichen. Gut, es lief schon "Captain Future", der allererste Manga sozusagen, aber dann war "Heidi" auch einer!



Wir hatten noch ein Fernsehprogramm, das völlig harmlos war. Ohne Sex, Gewalt oder anstössige Witze. Statt der heute am laufenden Band gesendeten Boulevardmagazine gab es vor 20 Jahren nur die "Tele-Illustrierte". Statt Talkshows gab es "Enorm in Form", statt "Wer wird Millionär?" gab es "Dalli dalli", "Die Pyramide" und "Eins, zwei oder drei?" und an Stelle von "TV total" sahen wir uns "Verstehen Sie Spass?" mit Paola und Kurt Felix an. Sendungen im Fernsehen haben uns irgendwie auch immer total bewegt: Als "Die Märchenbraut" lief, haben wir Mädchen alle am nächsten Tag in der Pause Prinzessin gespielt, haben Kaugummiautomatenringe an unseren Fingern gedreht und so getan, als ob wir zaubern könnten. Nach "Drei Nüsse für Aschenbrödel" galoppierten wir auf imaginären Pferden in Begleitung von imaginären Hunden über den Schulhof. Wenn das heute ein Kind tut, würde man wohl einen Drogentest anordnen.



Wenn ich nachmittags mit einer Freundin gespielt habe, dann von drei bis kurz vor dem Dunkelwerden, weil sie oder ich dann zu Hause sein musste. Wir spielten solche Sachen wie Verstecken, Fangen, Vater-Mutter-Kind, Kasperletheater und Puppenwagenschieben. Manchmal taten wir auch so, als ob unsere Fahrräder Autos wären und "parkten" dann auf den Anwohnerplätzen vor unseren Häusern. Das heisst nicht, dass wir damals nicht auch mal am Computer sassen. Mein Bruder hatte einen COMMODORE 64 und später einen AMIGA und wenn man so ein Ding hatte, war man der König unter seinen Kumpels. Ich spielte am liebsten mit meinen Barbies, Playmobil, Lego- und Fabulandfiguren, mit meinem Sesamtrassenhaus und mit meinen Emily-Erdbeer-Puppen. Letztere rochen nach Erdbeer, Melone, Heidelbeere und Zitrone. Dabei lief immer eine Schallplatte mit Märchen oder Kinderliedern im Hintergrund oder eine TKKG-Kassette. "Die drei Fragezeichen" waren mir damals noch zu unheimlich.



Kraftausdrücke als Schimpfworte waren uns früher noch recht fremd. Wir riefen unsere Feinde meistens "Pfannkuchengesicht" oder "Idiotenkönig".Die fiesen Wörter kamen erst später. Wenn etwas blöd oder langweilig war, war es "billig" oder - als Steigerung - "voll billig". "Geil" war seinerzeit überhaupt nicht gebräuchlich. Wir sagten "prima", "super", "klasse" oder auch "spitze". Markenklamotten waren nicht wichtig in der Grundschule. Das kam erst später. Was wichtig war, war ein Schulranzen von Scout (mit einem Reflektoranhänger!), ein durchsichtiges Plastikmäppchen mit Herzen oder Sternen oder Wolken darauf und die richtigen Riechstifte. Man musste mindestens vier verschiedene Riechstifte haben und einen bunten Radiergummi, der auch riecht. Sonst war man abgeschrieben, wenn die Klassenkameraden sich in der kleinen Pause quer durch die Mäppchen "schnüffelten". Eigentlich haben wir uns seinerzeit wirklich durch alles durchgeschnuppert, was uns in die Quere kam. War mir gar nicht bewusst. Ist ja witzig.



Statt nach Mallorca, Florida oder Australien reisten wir in den Sommerferien nach Jugoslawien, Ibiza und an den Gardasee. Wenn mein Bruder und ich ein passables Zeugnis nach Hause brachten, durften wir uns ein kleines Computerspiel aussuchen. Das waren die Vorgänger der Gameboys: Kleine Spielgeräte, die etwa so aussahen, wie ein Taschenrechner, nur mit einem etwas grösseren Display. War halt immer nur ein Spiel drauf. Donkey Kong oder so. Aber hat mordsmässigen Spass gemacht. Nur das Gepiepse ging meiner Mutter nach einer Weile tierisch auf den Keks.



Auf alten Klassenfotos der Realschule sehe ich im Übrigen völlig beknackt aus. Ja, ich weiss, das behauptet jeder von sich. Aber glaubt mir, ich sah WIRKLICH völlig beknackt aus: Ich wog etwa 15 Kilo zuviel, trug äusserst bunte Kleidung, die farblich nicht immer zusammenpasste, krempelte stets meine Ärmel und Hosen hoch und hatte raspelkurze Haare, die in alle Himmelsrichtungen abstanden und deren Farbe fast wöchentlich wechselte. Kurz: Ich war nicht schön. Auf den Trip mit den Dauerwellen kam ich erst, als diese schon zwei Jahre aus der Mode waren. Anfang der 90er behängte ich mich mit grossen Ketten und trug zu allem Überfluss meine T-shirts verkehrtherum, weil ich die Motive auf den Vorderseiten nicht mochte. War billiger und einfacher als ein T-shirt ohne Motiv drauf zu kaufen. Fragen Sie nicht weiter...ich verstehe es selbst nicht mehr. In eben diesem Outfit besuchte ich auch zwei Jahre später die Berufsfachschule mit dem Wunsch, Fremdsprachensekretärin zu werden. Gut, ich war nicht gerade das Abbild einer Chefsekretärin, aber zum Glück änderte sich das während meiner Ausbildung noch zum Guten...

... comment